Ein Tourismus nach Corona – Wirtschaftliche Erholung oder Vorfahrt für die Nachhaltigkeit?

22 Dezember 2020 9:07pm
Schreiben Caribbean News Digital
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In der jüngsten Runde der ITB VirtualCon, vom 10. Dezember 2020, ging es um die Frage, ob Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Erholung zum Opfer fällt oder ob die Krise vielleicht sogar als Katalysator dient. Moderiert wurde das Online-Panel von Rika Jean-François – CSR-Beauftragte der ITB Berlin. Zu Gast waren Lucienne Damm, Senior Environmental Manager, TUI Cruises, Randy Durband, CEO, Global Sustainable Tourism Council, Peter-Mario Kubsch, CEO, Studiosus sowie Julia Massey, Vice President Global Sustainability, Kempinski Hotels.

Die Tourismusbranche kämpft noch immer mit Reisebeschränkungen und der Abriegelung in vielen Ländern. Es sei aber auch an der Zeit, über ihre Zukunft nachzudenken, zumal die erste Impfwelle bereits anläuft. Für Rika Jean-François sei eine wichtige Frage, wie eine touristische Welt nach COVID-19 aussehen wird. ‚Nachhaltigkeit‘ sei im letzten Jahrzehnt schließlich oftmals das Mantra vieler Destinationen und Tourismusunternehmen gewesen.

Eine Live-Umfrage, die mit den Teilnehmern der virtuellen Konferenz durchgeführt wurde, zeigte Zuversicht für eine nachhaltigere Tourismuswelt. Auf die Frage „Kann die Pandemie zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz führen?" stimmten 76 Prozent der Aussage zu, dass die Nachhaltigkeit stärker als bisher in den Fokus rücken dürfte.

Lucienne Damm sagte, es könne sein, dass das Ziel der Nachhaltigkeit für eine Weile dem wirtschaftlichen Überleben weiche: „Ich glaube, dass die Unternehmen zuerst versuchen werden, sich zu erholen, aber wir können uns fragen, ob es 'whatever it takes' sein wird oder ob wir die gleichen Fehler der Vergangenheit wiederholen. Ich denke, dass ein starker Fokus auf den politischen Entscheidungsträgern liegen sollte.“

Auch der individuelle Reisende könnte sein Verhalten schneller ändern. Dies würde sich in einem neuen Selbstbewusstsein ausdrücken, auf ein nachhaltigeres Erlebnis zu achten. Es könne zum Beispiel dazu führen, Städtereisen durch naturnahe Erlebnisse in abgelegenen Gegenden zu ersetzen oder ein großes Hotel zugunsten einer kleinen, lokalen Unterkunft zu verwerfen.

Damm räumte ein, dass das Image der Kreuzfahrtindustrie in letzter Zeit durch einige Unternehmen beschädigt worden sei. „Wir werden beweisen müssen, dass die Cruise-Branche auch eine verantwortungsvolle, nachhaltige Antwort für Reisende bereithält. Wir haben das definitiv später realisiert als einige andere Branchen. Dennoch gibt es viele Innovationen und neue Technologien werden bald ein hochzeitgemäßes Erlebnis bieten", so Damm.

Gemäß Julia Massey hat die Pandemie für einen sprunghaften Anstieg der CSR-Initiativen im Gastgewerbe gesorgt: „Unternehmen, die umweltbewusster und sozialer sind, performen besser. Viele Studien beweisen das. Dies gilt auch für das Gastgewerbe.“ COVID-19 habe gleichermaßen Chancen und Risiken für Hotels aufgezeigt. Während die Armut durch den Verlust von Arbeitsplätzen zunehme, biete dies auch eine Chance für größere CSR-Aktionen und die Schaffung gemeinsamer Werte, erklärte Massey.

Es gebe Gewinnbeteiligungsmodelle zwischen Gastgewerbeunternehmen und Tech-Providern, vor allem im Bereich der Energieeffizienz. „Wir bitten die Technologie-Dienstleister, uns ihre Leistung kostenlos zur Verfügung zu stellen. Mit den erzielten Einsparungen teilen die Hotels den Gewinn mit den Technologieunternehmen und kaufen aus deren Angebot", sagte sie weiter.

Ein Vorstoß zu einer nachhaltigeren Tourismuswelt dürfte definitiv vom öffentlichen Sektor initiiert werden, erklärte Randy Durband: „Da der private Sektor um sein Überleben kämpft, können wir mehr Aktion vom öffentlichen Sektor erwarten.“

Im weiteren Verlauf der Diskussion ging Durband auf die Rolle der Destinationen ein, die im Allgemeinen in den Händen der öffentlichen Hand lägen und sagte, sie seien ein Schlüsselelement für die Nachhaltigkeit. „Sie sollten Mindeststandards für nachhaltige Kriterien festlegen, auch bei der Vergabe von Sternen für Hotels. Die Regierungen könnten die Destinationen dazu ermutigen, noch nachhaltiger zu werden, indem sie mehr Subventionen bereitstellen", fügte er hinzu.

Für Reiseveranstalter-Chef Peter-Mario Kubsch hat COVID-19 zumindest einen positiven Aspekt: „Wir sollten uns daran erinnern, dass wir vor nicht allzu langer Zeit von ‚Overtourism‘ gesprochen haben. Unsere Branche wuchs bis zu einem Punkt, an dem es gefährlich wurde – lange bevor die Pandemie einsetzte. Jetzt haben wir die Chance, unser Geschäftsmodell zu überdenken".

Nach Ansicht der Diskussionsteilnehmer ist das zukünftige Verhalten der Verbraucher noch nicht abzusehen. „Wird der Einfluss der Verbraucher den Post-COVID-19-Tourismus zu einer nachhaltigen Industrie machen?", fragte Rika Jean-François.

Randy Durband blieb da skeptisch: „Europa ist in Sachen Nachhaltigkeit weltweit führend. Wir müssen jedoch eine globalere Perspektive einnehmen. Obwohl einige Reisende stark auf Nachhaltigkeit achten, ist das vorwiegende Publikum noch nicht davon angetan, wenn es wirklich um etwas geht“.

„Wir sollten unseren Enthusiasmus für ein neues nachhaltiges Reisezeitalter zügeln. Was Reisende in Umfragen über Nachhaltigkeit sagen, zeigt unter Umständen nur die Art und Weise, wie sie die Welt sehen möchten. Es ist etwas anderes, wie sie handeln, wenn sie Reisen dann buchen", fügte Randy Durband hinzu. Wie Lucienne Damm betonte, sei die Aufklärung der reisenden Verbraucher weiterhin entscheidend.

„Sind Kunden denn auch bereit, mehr für Nachhaltigkeit zu bezahlen?", warf Rika Jean-François abschließend entsprechend ein.

Eines steht fest: Nachhaltigkeit ist im Tourismus natürlich präsent und wird es bleiben. Ob daraus eine Lebenseinstellung wird, ist jedoch womöglich eine ganz andere Frage.

Quelle: ITB News Room

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