Mysteriöse Ölpest verdreckt Brasiliens Traumstrände

17 Oktober 2019 2:39pm
Schreiben Caribbean News Digital
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Seit Anfang September verdrecken Ölklumpen immer grössere Küstenabschnitte des Nordostens. Zum Teil sind es sogar Ölteppiche mit mehreren Metern Durchmesser. Während die wahren Gründe für die Umweltkatastrophe immer noch unklar sind, werden in den Gerüchteküchen des Internets fleissig Verschwörungstheorien zubereitet. So vermuten manche, dass es sich um eine Racheaktion Venezuelas handelt.

Fakt ist: Die ersten Verschmutzungen wurden im Küstenabschnitt der beiden Teilstaaten Pernambuco und Paraiba festgestellt. Dort, wo die Ostspitze Brasiliens am weitesten in den Südatlantik hineinreicht, teilt sich die Meeresströmung in eine nördlich an der Küste entlang ziehende und eine südliche. So breitete sich das Rohöl den September über nördlich bis hinauf an die Küsten von Maranhao aus, wo der trockene Nordosten ins Amazonasgebiet übergeht.

Nach Süden hat es bereits die Traumstrände von Bahia erreicht. Wie weit sich das Rohöl noch ausbreiten wird, weiss derzeit offensichtlich niemand. Zurzeit sollen 150 Strände auf einem nahezu 2000 Kilometer langen Küstenabschnitt betroffen sein.

Anfangs mutmassten Medien und Behörden, dass ein Öltanker vor Brasiliens Küste seine Tanks gesäubert hat. Angesichts der bisher angeschwemmten Menge von über 130 Tonnen Rohöl haben die Behörden diese Theorie jedoch mittlerweile verworfen. Eine Streuung über eine derart lange Küstenlinie könne nicht durch eine simple Tankspülung verursacht worden sein.

Petrobras spielt Schlüsselrolle

Brasiliens halbstaatlicher Energieriese Petrobras spielt eine Schlüsselrolle in der Aufdeckung des Mysteriums. Dessen Fachleute stehen der in dem Fall ermittelnden Bundespolizei und der brasilianischen Marine zur Seite. Denn während die staatlichen Umweltbehörden unter den Sparmassnahmen der Regierung ächzen, hat Petrobras Experten und Labors zur Hand, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen.

Die von Petrobras entnommenen 23 Proben ergaben, dass es sich um ein und dieselbe Ölsorte handelt. Damit konnte ihrer Ansicht nach ausgeschlossen werden, dass das Öl aus verschiedenen Quellen oder Lecks stammt. Zudem soll es sich um Rohöl mit «venezolanischer DNA» handeln, sprich: Es stammt aus dem Nachbarland. Petrobras erklärte, Öl mit einer vergleichbaren Charakteristik weder zu produzieren noch zu kommerzialisieren.

Die Beziehungen zwischen dem chavistischen Regime von Nicolás Maduro und dem seit Januar regierenden Rechtspopulisten Jair Bolsonaro sind derzeit denkbar schlecht. Während die von 2003 bis 2016 in Brasilia regierenden Linksregierungen Venezuela mit grosszügigen Krediten unterstützten, ging Bolsonaro von Anfang an auf Konfrontationskurs. Man arbeite eng mit Donald Trump an einem Machtwechsel in Caracas, so der Präsident.

Doch trotz dem auf Venezuela hindeutenden Befund aus den Petrobras-Laboren hält sich der für seine wilden Tiraden bekannte Bolsonaro seltsam zurück. Man habe zwar «ein bestimmtes Land auf dem Radar». Aber er wolle nicht voreilig anklagen. Experten weisen auf die katastrophalen Zustände der venezolanischen Erdölindustrie hin, die Unfälle auf Tankern wahrscheinlicher machen könnten. Allerdings werde venezolanisches Öl auch unter anderer Flagge transportiert, weshalb Caracas nicht automatisch verantwortlich zu machen sei.

Venezuela leugnet jegliche Verbindung zu dem Umweltdesaster. Lecks seien weder auf Plattformen noch auf Schiffen aufgetreten, die venezolanisches Öl über den Südatlantik transportierten. In sozialen Netzwerken drifteten derweil die Theorien über Venezuelas Beteiligung auseinander. Das Nachbarland wolle Brasiliens Tourismus zerstören, liest man. Oder: Bolsonaro habe das Öl verschütten lassen, um Venezuela anzuschwärzen.

Tank von Weltkriegswrack ausgelaufen?

Noch spektakulärer ist die Vermutung, das Öl könnte aus den Tanks des deutschen Frachtschiffes «Rio Grande» stammen, das sich Anfang 1944 rund 540 Meilen vor der Küste Pernambucos selbst versenkte. Es war mit Kautschuk beladen, als alliierte Schiffe es stellten. Nun sei das Wrack auseinandergebrochen, glauben Wissenschafter. Seit Oktober 2018 wurden Hunderte Kautschuk-Kisten an genau die Strände geschwemmt, an denen jetzt das Öl auftauchte.

Petrobras erklärte jedoch, dass es sich keinesfalls um 75 Jahre alten Treibstoff handeln könne. Das Unternehmen arbeitet stattdessen mit drei Thesen. Die unwahrscheinlichste ist ein bisher nicht gemeldeter Schiffsuntergang, die andere ein kriminelles Ablassen des Öls ins Meer. Als am wahrscheinlichsten gilt jedoch ein Unfall beim Umladen von Öl zwischen zwei Schiffen auf hoher See. Im August sollen rund 140 Tanker in dem als möglicher Tatort ermittelten Seegebiet vor Brasilien unterwegs gewesen sein.

Dort trifft die Seeroute zwischen der Karibik und Südafrika sowie zwischen Europa und dem Süden Brasiliens aufeinander. Man habe den Kreis der verdächtigen Schiffe mittlerweile auf 23 Tanker eingeschränkt, so die Ermittler. Auch die Möglichkeit, dass ein Öl schmuggelndes Piratenschiff hinter dem Desaster stecke, werde untersucht. Brasiliens Umweltminister Ricardo Salles macht jedenfalls ein ausländisches Schiff für die Ölpest verantwortlich.

Leck in einer Raffinerie

Ob er damit Petrobras von jeglicher Beteiligung freisprechen will? Denn Ende August entwich Öl aus der Raffinerie Abreu e Lima in Pernambuco und verschmutzte ein 4,5 Hektaren grosses Küstengebiet. Dabei sei kein Öl ins Meer gelangt, teilte Petrobras mit. Zudem verweist der Konzern auf die unterschiedliche Konsistenz des brasilianischen Rohöls und der angeschwemmten Klumpen.

Zusammen mit weiteren Raffinerien will Petrobras Abreu e Lima nun veräussern. Das von Korruptionsskandalen gebeutelte Unternehmen braucht dringend Geld. Und auch Bolsonaros Regierung setzt angesichts leerer Staatskassen auf die Erdölförderung. Bis November werden zahlreiche Förderlizenzen versteigert, man hofft auf Milliardeneinnahmen. In den letzten Wochen rangen Gouverneure und Parlamentarier mit der Regierung um den Einnahmekuchen.

Skandale in seiner eigenen Ölindustrie kann sich Brasilien also derzeit nicht leisten. Der Ruf im Ausland ist nach den steigenden Abholzungszahlen und den Waldbränden in Amazonien sowieso angeschlagen. Bekommt man die Ölpest nun nicht schnell in den Griff, droht weiterer Imageschaden.

Quelle: https://www.nzz.ch

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